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dimanche 16 janvier 2022

Oksana Lyniv : „Die ganze Welt ist unser bester Lehrer“ — Ein Exklusiv-Interview von Jolanta Łada-Zielke

Foto © Oleh Pavliuchenkov

 „Die ganze Welt ist unser bester Lehrer“

Oksana Lyniv braucht man unseren Lesern nicht vorzustellen. Nach ihrem großartigen Debüt in Bayreuth, als erste Frau am Dirigentenpult am Grünen Hügel, ist sie an vielen Opern- und Symphonieprojekten beteiligt. Sie ist gerade als Generalmusikdirektorin im Teatro Comunale in Bologna für die nächsten drei Jahre beauftragt worden.

Einen wichtigen Platz nimmt in Ihrer Tätigkeit das von ihr gegründete internationale Festival LvivMozartArt in Lemberg ein, das 2022 zum sechsten Mal stattfindet. Der Stammteilnehmer an diese Veranstaltung ist Youth symphony Orchestra of Ukraine (YsOU), das ebenfalls auf Initiative von Oksana Lyniv entstand. Seit seinem Gründungsjahr 2016 gab das Orchester mehrere Konzerte in der Ukraine sowie in Europa, und 2018 nahm es am Festival Junger Künstler Bayreuth teil. Sein Repertoire umfasst neben internationalen Orchesterwerken auch die Werke der ukrainischen Musik. Sowohl die Dirigentin als auch ihre jungen Musiker fördern die Werke ukrainischer Komponisten, die bis vor kurzem einem breiteren Publikum unbekannt waren. Ihre Projekte tragen dazu bei, kulturelle Brücken zwischen der Ukraine und anderen Ländern zu bauen.

Unser Gespräch fand während Oksanas Aufenthalt in London statt, wo sie „Tosca" im Royal Opera House dirigierte.

Liebe Oksana, wenn Sie von Ihrer heutigen Position aus auf Ihre Lehrzeit zurückblicken, was halten Sie für das Wichtigste?  

Die jungen Musiker, mit denen ich arbeite, fragen mich oft nach der Quelle meines Erfolgs. Ich erkläre ihnen: man kann den Erfolg nicht erzielen. Man kann nicht vorhersagen: ich mache dies und das, und nach so vielen Jahren erreiche ich eine bestimmte Position. Zuerst muss man seinen eigenen Weg finden. Dieser Weg ist keine direkte Linie, sondern führt uns Schritt für Schritt. Jeder Schritt ist sehr wichtig, bei jedem lernen wir etwas. Manchmal höre ich, dass man von einem einzigen Lehrer nicht alles lernen oder nicht alle Antworten bekommen könnte. Meiner Meinung nach ist die ganze Welt der beste Lehrer. Man muss offen sein und immer wieder neue Erfahrungen sammeln, die uns die Welt schenkt.

 Wem von Ihren Lehrern verdanken Sie das meiste?

Das sind vor allem die Menschen, die ich in der Ukraine in der Studienzeit getroffen habe. Als zwanzigjährige war ich schon als Souffleuse und Assistentin in der Nationaloper Lviv tätig. Dort konnte ich von den Dirigenten viel lernen, die damals in Lemberg gearbeitet haben. In der Musikschule hatte ich als Pädagogen zwei ausgezeichneten Dirigenten: Zinaida Ostafitschuk und später Bogdan Daschak. Während meiner Weiterbildung an der Dresdner Musikhochschule studierte ich bei Professor Ekkehard Klemm. Er war mir sehr wichtig, weil er mich in die historische Aufführungspraxis besonders in der Stilistik von Mozart eingeführt hat. Die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern hat mir auch viel beigebracht. Das waren Regisseure, berühmte Sänger und auch andere Dirigenten. Aber am meisten habe ich aus Büchern gelernt. Ich habe viele Bücher über berühmte Künstler gelesen, hauptsächlich ihre Biografien, Tagebücher, Briefsammlungen und Schriften.

Der Grundgedanke Ihres LvivMozartArt Festivals ist die Zusammenarbeit junger Musiker aus der Ukraine und anderen Ländern. Läuft dieser Austausch jetzt leichter als zum Beispiel vor 10 Jahren?


Jetzt fällt mir das leichter zu organisieren, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit auf meine Projekte in der Ukraine fokussiert ist. Aber auch früher habe ich das in meiner Heimat gemacht. Es ist mir wichtig, dass die jungen Musiker meinen Werdegang Schritt für Schritt verfolgen können. Sie sehen, wie sich meine Karriere weiterentwickelt, sie erleben jedes Jahr mit mir die wichtigen Debüts, oder schauen Streamings. Ich erzähle ihnen immer gerne über meine Erfahrungen in Berlin, in München oder in Bayreuth. Ich erkläre, dass das wichtigste für den Erfolg ist, nicht nur Glück zu haben, sondern die kontinuierliche Arbeit, die Prioritätenstellung und die Konzentration darauf, was wir erreichen wollen.

 Die jungen ukrainischen Musiker reisen gerne nach Westen für die Weiterbildung oder beruflich. Aber ich vermute, wer aus dem Westen kommt in Ihre Heimat, hat etwas Angst, weil man dieses Land noch nicht kennt. Erst vor Ort überzeugt man sich, dass die Ukraine schön ist und ihre Bewohner freundlich sind.

Ja, das weiß ich aus meinen Erfahrungen. An dem Festival 2017 hat das Bundesjugendorchester Deutschland und ein Jahr später das Bayerische Landesorchester teilgenommen. Das waren junge Menschen aus Deutschland im Alter zwischen 14 und 22 Jahren, wie in dem YsOU. Unsere deutschen Gäste waren total begeistert und behaupteten, das sei eine ihrer interessantesten Konzertreisen. Schon damals haben wir über eine mögliche Fortsetzung des Projekts gesprochen. Leider konnten wir aufgrund von Corona nicht alle unsere Pläne erfüllen. Jetzt bereiten wir ein neues Projekt für 2022 vor, an dem das Bundesjugendorchester Deutschland, Youth symphony Orchestra of Ukraine, das Bayerische Landesorchester und einige Dozenten von den Berliner Philharmonikern teilnehmen.

 Welche Pläne haben Sie vor der Pandemie umgesetzt?

Eins von unseren großartigen Austauschprojekten war „Orchestras Battle“. Das Bayerische Landesjugendorchester hat mit dem ukrainischen Orchester einen Wettbewerb gemacht, dann haben die beiden zusammengespielt.

Hier muss ich hinzufügen, dass die Gründung von Youth symphony Orchestra of Ukraine mit der Hilfe von dem Bundesjugendorchester Deutschland erfolgte. Unsere erste große Unterstützung kam 2017 von dem Außerministerium der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Abschluss unseres ersten Projekts hat mir Herr Sönke Lentz (Direktor des Bundesjugendorchesters) erzählt, dass ein junger Oboist ihm vorschlug, neue Instrumente für die ukrainischen Kollegen zu besorgen, die die alten spielten. Herr Lentz meint, solche Projekte dienen genau dazu, um die junge Menschen für solche Unterschiede zu sensibilisieren und gemeinsame künstlerische Ideen zu entwickeln.                                                         

Sie haben die Verbindung von Franz Xaver Mozart, Sohn von Wolfgang Amadé, zu Lemberg entdeckt. Sie haben auch ein Buch zu diesem Thema initiiert und Materialien dazu gesammelt. Wann wird das Buch erscheinen?

Wir sind gerade mit der vierten Korrektur des Inhalts fertig und haben die Bilder hinzugefügt. In den nächsten Monaten soll das Buch veröffentlicht werden. Eine große Unterstützung haben wir vom Mozarteum in Salzburg bekommen, das uns die noch nicht veröffentlichten Franz Xaver Mozarts Briefe zur Verfügung gestellt hat.

Sie haben auch dazu beigetragen, dass in Lemberg  Franz Xaver Mozarts Denkmal aufgestellt wurde. Der Bildhauer Sebastian Schweikert hat ihn symbolisch dargestellt; die große Perücke deutet daraufhin, dass der Musiker im Schatten seines Vaters blieb. Aber warum ist er barfuß?

Genau deswegen, weil das keine historische Abbildung, sondern eine symbolische Darstellung des Künstlers und seines Werks ist. Er ist barfuß, denn der künstlerische Weg ist übersät mit Steinen, die man an der eigenen Haut, ohne Schutz spüren soll. Jeder Schritt, jeder Kilometer dieser Route ist von Härten und oft Leiden gekennzeichnet. Dies war nicht nur zu Zeiten von Mozarts Sohn der Fall, sondern ist auch noch heute aktuell. Ich bin im Ausland erfolgreich, aber es gibt viele junge Künstler, die in einem fremden Land keine Zukunft aufbauen können und ihren Beruf aufgeben müssen. Diese Figur von Franz Xaver Mozart hat auch zwei linke Füße. Das hat wiederum auch symbolische Bedeutung für die Individualität und „Diversity“, was heute ein populäres Thema ist. Franz Xaver wurde immer mit seinem großen Vater verglichen und man sagte, er solle in seine Fußstapfen treten. Sebastian Schweikert  hat aber ihm zwei linke Füße gegeben, um zu zeigen, dass nicht jeder Musiker den Erfolg seines Vorfahrens wiederholen kann. Jeder Künstler ist eine einzigartige Persönlichkeit.

 Wie haben Sie das Neue Jahr 2022 angefangen?

Am 3. Januar habe ich mit der neuen Produktion „Mese Mariano“ von Umberto Giordano und „Suor Angelica“ von Puccini in Liège im Königlichen Opernhaus Belgien gestartet. Dann leitete ich das Eintrittskonzert mit Werken von Richard Strauss und Richard Wagner  im Teatro Comunale in Bologna. Jetzt beginne ich die Arbeit an einer neuen Produktion von „Turandot“ in Theatro dell’Opera a Roma. Außerdem steht in meinen Planen „Rusalka“ in Stuttgart und die Concertante Aufführung von Tschaikovskys „Jolanta“ in Bologna. Dazu kommen noch einige symphonische Konzerte in Österreich und in Deutschland. Im Sommer bin ich wieder in Bayreuth.

Eine Opernaufführung zu dirigieren erfordert mehr geteilte Aufmerksamkeit als ein symphonisches Konzert. Brauchen Sie vielleicht eine kurze Pause, um sich von einem Konzert zum Operndirigieren umzustellen?

Nein, ich brauche ich keine extra Pause um mich von dem  umzustellen. Auch wenn ich eine Oper dirigiere, konzentriere ich mich in erster Linie auf das Orchesterklang. Das ist eine Grundlage, ein Gerüst für den Gesang und für den dramatischen Verlauf der Oper. So funktioniert das im spätromantischen Opernrepertoire: bei Puccini, Wagner, oder Richard Strauss. In meiner Aufgabe als Dirigentin steht der Gesang nicht im Vordergrund. Ich arbeite an der Transparenz und Differenzierung des Orchesterklangs in einer Oper wie bei einer Symphonie.

 Was ist dann die Funktion der Sänger für Sie?

Die Solisten sind Individualisten, jeder hat eine andere Stimme, ein anderes Temperament und drückt sich anders aus. Man muss sie alle in das Geschehen integrieren. Ich finde es spannend, mit ihnen über die Rollen und ihre Umsetzung in die Musik zu diskutieren. Zwar bestimmt jeder Solist über seine eigene Rolle, aber nicht über das Ganze. Über den Verlauf nach dem Libretto und über die Dramaturgie der Opernvorstellung bestimmt nur der Dirigent mit Regisseur zusammen. Ich kann das machen, sobald ich alle Bestandteile in der Hand habe: das Orchester, den Chor, die Solisten, die Vorstellung von der Akustik, und eine Abstimmung mit dem Regisseur hinter mir.

Wie liefen Ihre bisherigen Diskussionen mit Regisseuren, wenn Ihnen ein Regiekonzept musikalisch nicht passte? Kam es zu Streit, oder eher zu Kompromissen?

Es gibt nie einen Streit. Wenn ein Regisseur etwas vorschlägt, was musikalisch überhaupt nicht funktioniert, verzichtet er meistens darauf, wenn er einen wichtigen Grund dazu hat. Wenn wir doch diesen szenischen Effekt brauchen, schlage ich eine andere musikalische Stelle vor, die am besten dazu passt. Am häufigsten finden wir eine gute Lösung. Niemand will, dass im Verlauf der Vorstellung etwas Falsches passiert. Ich finde die Konflikte zwischen Dirigenten und Regisseuren grundsätzlich schlecht und unproduktiv. Es hat auch eine schlechte Wirkung auf die Sänger, die sich zwischen Musik und Regie wie zwischen Hammer und Amboss befinden. Das Publikum bekommt das auch mit. Man geht nämlich in die Oper nicht nur um zu sehen und zu hören, sondern auch um etwas Schönes zu erleben. Deshalb ist es wichtig, dass alles gut zusammenpasst. Ich versuche so früh wie möglich den Regisseur oder die Regisseurin meiner nächsten Produktion kennenzulernen und mit ihm oder ihr über die Inszenierung, die Kürzungen, Pausen, die Aufstellung von Chor und Solisten zu diskutieren.

Besprechen Sie auch die Tempi mit den Regisseuren?

Grundsätzlich nicht, aber doch wenn es nötig ist. Jeder Regisseur hat Interesse daran, dass das Stück musikalisch ziemlich packend klingt. Dann läuft auch die Aktion auf der Bühne spannend. Ein Regisseur kann interessante Ideen für das Licht oder die Kostüme haben; aber wenn die Oper musikalisch langweilig, schlecht gespielt und gesungen ist, kann sie selbst die beste Regie nicht retten. Deswegen sind die Tempi mehr eine Interpretationssache und hängen vom Dirigenten ab. Aber wenn in einer Szene eine Fermate oder kurze Pause gebraucht wird, können wir das mit dem Regisseur gerne abstimmen.

Sie sind jetzt oft in Ausland. Vermissen Sie das ukrainische Essen, wie zum Beispiel Borschtsch (Rote-Beete-Suppe)?

Während meines Aufenthalts in London bei „Tosca“ –Projekt war ich zu Gast in der Ukrainischen Botschaft und sie haben mich zum Essen eingeladen. Dort gab es ukrainische Borschtsch und Holubki (wörtlich „Täubchen“ - Kohlroladen). Ich war in letzter Zeit selten zu Hause in Düsseldorf, aber wenn ich schon da bin, koche ich häufig Borschtsch.

Wie haben Sie Weihnachten verbracht?

In meiner Familie feiern wir Weihnachten orthodox, am sechsten Januar. Ich koche traditionelle Speisen, die an diesem Tag auf dem Tisch obligatorisch auftauchen. Das ist ein Fastenessen, ohne Fleisch, aber mit einem speziellen Gebäck – einem Striezel aus Hefeteig. Diesen backe ich selbst. Zu den Weihnachtsgerichten gehört unbedingt die Kutia. Das ist eine Mischung aus Weizenkörnern, Mohn, Honig und Rosinen. Sie hat eine besondere Bedeutung: man glaubt dass an den Abend die Seelen der Verstorbenen in die Familien kommen, um mit allen zusammen zu feiern. Aber die Zutaten für Kutia sind in Deutschland nicht so leicht zu finden. Ich bitte meine Familie in der Ukraine, dass sie mir diese Dinge schon im Dezember zuschickt. Wenn ich aber in Westeuropa bin, wo es katholische Weihnachten gibt, schließe ich mich der Feier an und bereite eine festliche Mahlzeit zum Heiligen Abend vor.

Meine letzte Frage bezieht sich auf Richard Wagner, der sagte: „Frauen sind Musik des Lebens“. Wie verstehen Sie das?

Die Frauen waren für Wagner in der ersten Linie eine Inspirationsquelle. Wagner hat keine einfachen Frauen, wie zum Beispiel Dienstmädchen geliebt, sondern wahre Persönlichkeiten, die seine Musen oder Lebenspartnerinnen geworden sind. Seine erste Frau Minna Planner war eine Schauspielerin, Mathilde Wesendonck eine Dichterin, und Cosima Liszt eine hochbegabte Pianistin. Im 19. Jahrhundert waren Frauen nicht in Führungspositionen, also war es nicht selbstverständlich, dass Cosima nach seinem Tod die Führung der Bayreuther Festspiele übernimmt. Als sie dies tat, war das Festival noch unbekannt und für sieben Jahre verschuldet. Sie musste nach Förderern suchen und alles finanziell aufbauen. Und sie hat es geschafft.

Ich kann gut verstehen, was Wagner damit meinte, dass Frauen die Musik des Lebens sind. Auch die Frauenrollen in Wagners Opern und Musikdramen symbolisieren Freiheit, Unabhängigkeit, Souveränität. Er hat aus den mythologischen Figuren starke Charaktere geschaffen, wie Brünnhilde, die sich dem Gottvater wiedersetzt und für die Menschenrechte sowie für die wahre Liebe kämpft. Das sind interessante Beispiele, die sich später in den Werken von Richard Strauss - Richtung  femme fatale - entwickelt haben. In dem Sinne war Wagner für mich ein progressiver Denker. Und da wir gerade bei diesem Thema sind, wird das nächste LvivMozartArt Festival unter dem Motto „Mozart und Frauen" stattfinden.

Danke für das Gespräch.  Jolanta Łada-Zielke 

Die Informationen über das LvivMozartArt  Festival findet man unter dem Link:

https://lvivmozart.com/en/about


Die Journalistin Jolanta Łada-Zielke 

Jolanta Łada-Zielke ist Journalistin, Vokalistin und Blog-Autorin. Sie beschäftigt sich mit Kultur- und Musikjournalismus sowie mit klassischem Gesang, mit Richard Wagner als Lieblingsthema. 

Kontakt mit Jolanta Lada-Zielke.

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